Created by Susanne Stock

Achtsamkeit: Esoterischer Mumpitz oder Führungsansatz der Zukunft?

Das Thema Achtsamkeit bzw. Mindfulness ist eines der großen Trendthemen, die in den Führungsetagen diskutiert wird. Große Versprechen gehen mit diesem Begriff einher: Stressresistente, resiliente Mitarbeiter, Burn-out Prophylaxe, Entspannung & Wellness, ja vielleicht sogar eine Art innere ‚Erleuchtung‘.

Mal ganz ehrlich: Was denken Sie, wenn Sie den Begriff „Achtsamkeit“ hören? Als ich vor einigen Jahren anfing, mich mit diesem Thema zu beschäftigen, war ich zum einen sehr neugierig, aber auf der anderen Seite auch sehr skeptisch. Mir graute es vor esoterisch abgehobenen Meditations-Nerds mit Wollsocken und euphemistischer Sing-Sang Stimme.

Zum Glück hat damals meine Neugierde gesiegt und ich bin dankbar für die Begegnungen mit Menschen, deren Authentizität, Willenskraft und Lebensfreude mich begeistert haben und mir gezeigt haben, dass Achtsamkeit nichts mit Weltfremdheit zu tun hat - ganz im Gegenteil. “Achtsamkeit bedeutet, auf besondere Art und Weise aufmerksam zu sein: Absichtlich, im gegenwärtigen Moment und ohne zu urteilen,“ sagt Jon Kabat-Zinn, der durch seine langjährige Forschung und seine Stressbewältigungskurse Achtsamkeit in der westlichen Welt gesellschaftsfähig gemacht hat.

Bei heutigen Werbemaßnahmen zu ‚Mindful Leadership’ Seminaren, wird das Bild der Wollsocken inzwischen abgelöst von nackten Füßen. Ich sehe Manager im Anzug, aber mit nackten Füßen, wie Sie im Schneidersitz auf einer Wiese sitzen und meditieren. Ein schönes Bild und gleichzeitig glaube ich, dass dies  weiterhin für Missverständnisse sorgt.

Führungskräfte fragen mich: Wie hilft mir eine regelmäßige Meditationspraxis in der Businesswelt weiter, wenn es wirklich akut stressig wird? Wenn es darum geht, schnelle Entscheidungen zu treffen? Oder soll ich während eines konfliktreichen Meetings mit meinem Team etwa mein Meditationskissen hervorholen und erst einmal 10 Minuten meditieren?

Der Zukunftsforscher Matthias Horx schreibt in seinem Zukunftsreport 2016:
„Der Begriff der Achtsamkeit ist ohne das Wort Selbst-Wirksamkeit nicht zu verstehen:
Achtsamkeit schaut nach innen, ohne das Außen zu vernachlässigen.“

Achtsame Führungskraft zu sein, bedeutet also nicht nur in der Innenschau zu verweilen und eigene Bedürfnisse wahrzunehmen, sondern auch meine Umgebung klarer zu sehen und emphatisch auf Bedürfnisse Anderer eingehen zu können. Diese bewusste Aufmerksamkeit hilft mir in schwierigen Situationen aus meinem ‚inneren Autopiloten‘ auszusteigen und bewusst zu agieren anstatt nur automatisch zu reagieren. Dadurch erhöhe ich meine Selbst-Wirksamkeit und kann die Handlungsoptionen, die mir zur Verfügung stehen erweitern. Bestenfalls helfe ich auch Mitarbeitern und Kollegen dabei, aus dem Autopiloten auszusteigen, Konflikte konstruktiv zu klären und mehr Lösungsoptionen zu sehen.

 

Gerade in Team Meetings und Konfliktsituationen können einige sehr pragmatische achtsame Führungsinterventionen helfen die Wirksamkeit als Team zu erhöhen:

Check-in:

  • Nehmen Sie sich mit dem Team gemeinsam einen bewussten Moment Zeit, um im Meeting anzukommen. Dafür reichen schon 20 Sekunden der Stille. Danach starten Sie eine kurze Intro-Runde, in der jeder die Fragen beantwortet:
  • Wie präsent bin ich gerade hier (auf einer Skala von 1-10)? Was ist mir wichtig für das Meeting? Wie will ich mich einbringen?

Präsenz:

Die einfache Grundregel Handy und Laptop auszuschalten und vom Tisch zu räumen, sorgt für Präsenz und Fokus auf die Meeting-Ziele. So können Besprechungen um einiges effizienter und stressfreier ablaufen. Jeder Fokuswechsel verbraucht viel mentale Energie und führt dazu, dass der interne Stresspegel steigt und eventuell auch negative Emotionen hervorruft, die mit dem aktuellen Meeting überhaupt nichts zu tun haben. Gleichzeitig ist es eine Form der Wertschätzung, wenn Teilnehmer einander aktiv zuhören und sinnhafte Fragen oder Bezüge zu anderen Beiträgen herstellen können.

Meta-Kommunikation anstatt Maßregelungen:

Spiegeln Sie Ihrem Team, was gerade los ist. Wenn es zum Beispiel doch dazu kommt, dass einige aufs Handy schauen oder heiße Diskussionen geführt werden, die nicht zielführend sind, beschreiben Sie Ihrem Team, was Sie in diesem Moment (achtsam) wahrnehmen, wie z.B.: „Ich bemerke gerade, dass die Diskussion von 2 Personen hier im Raum geführt wird, von den weiteren Teammitgliedern habe ich seit 15 Minuten nichts mehr gehört, einige fangen an aufs Handy zu schauen. Was brauchen wir, um gemeinsam die bestehenden Differenzen zu klären und als Team eine Entscheidung zu treffen?“ Diese Art der Meta-Kommunikation beschreibt, was Sie auf der Prozess- und Kommunikationsebene wahrnehmen ohne vorwurfsvoll oder bewertend zu sein. So hat das Team die Chance gemeinsam aus dem Autopiloten auszusteigen und eine neue Form des Umgangs und Problemklärung zu finden.

Sicherheit schaffen und klare Regeln zum Umgang definieren:

Schon das bekannte Harvard Verhandlungskonzept funktionierte nach der Grundregel: „Hart in der Sache, weich zum Menschen“. Nur wenn Teammitglieder darauf bauen können, dass persönliche Angriffe bei der Klärung von Konflikten ein ‚No Go‘ sind, kann ein Team sich konstruktiv weiterentwickeln. Diese psychologische Sicherheit sorgt für eine basale Grundentspannung im Team, die es jedem ermöglicht frei seine Meinung äußern zu können - ohne Angst vor Geringschätzung oder Gegenangriffen. Diese sichere Basis festigen Sie als Führungskraft dadurch, dass Sie Klarheit und Diversität genauso stark einfordern wie unbedingte Wertschätzung und Respekt aller Beteiligten und ihrer Perspektiven.

Check-out:

  • Beenden Sie Ihr Meeting mit einer kurzen Lernschleife: „Wie geht es uns mit dem Ergebnis? Wie geht es uns mit unserer Art der Kooperation und Kommunikation heute? Was wünschen wir uns für unser nächstes Meeting?
  • So unterstützen Sie Ihre Mitarbeiter dabei, das Meeting nicht nur sachlich, sondern auch emotional gut abzuschließen. Diese Form sorgt außerdem dafür, dass der Übergang in das nächste Meeting, die nächste fachliche und/oder emotionale Herausforderung leichter fällt.

Für mich haben diese Führungsinterventionen inzwischen weniger mit Wollsocken zu tun als damit, die Führungsrolle authentischer auszufüllen. Für mich hat sich die Neugierde gelohnt. Und für Sie?

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